Ausflug in die Heimat auf dem Ederseebahn-Radweg

Reste der Ederseebahn am ehemaligen Bahnhof Bergheim-Giflitz. Foto: waldecker-land-zukunft-heimat.de
Es ist Frühling, es ist warm, es ist Pfingsten und wir haben Corona-Zeiten. Also alles dieses Jahr anders. Im Familienrat haben sich die Leichtgläubigen durchsetzen können. Also kein Familientreffen bei den Eltern, diese gehören ja zur Risikogruppe. Keine Begegnung mit Nichten und Neffen, die gehören zu den „Spreadern“. Verrückte Zeiten! Nutzen wir es zur Entschleunigung und besinnen uns auf die Heimat.
Ederseebahn: Aus einem Wunderwerk der Technik
ist ein Fahrradweg geworden
Das Fürstentum Waldeck, zwar idyllisch eingebettet in die Natur, war selbstständig in den Deutschen Reichsbund eingetreten, doch es war auch sehr klein und wirtschaftlich schwach. Das Klima zum Teil rau, die Äcker wenig ertragreich. Den Sprung zur Industrialisierung hatte man mit Holzkohle und minderwertigem Erz nicht schaffen können. Hilfe kam seinerzeit von Preußen. Strom war die neue Energiequelle. Strom war zum Sinnbild von Zukunft und Wohlstand geworden. Strom erzeugt durch Wasser, hier tat sich eine Möglichkeit für Waldeck auf, Anschluss an die neue Zeit zu finden, denn Wasser hatten die Waldecker. Preußen investierte. Eine Bahntrasse aus dem Ruhrgebiet wurde an die Eder gebaut. Auf ihr konnte man nicht nur das Baumaterial an die Baustelle der Sperrmauer bringen, sondern vor allem später die schweren Turbinen. Im Gegenzug aber hatte Waldeck auch Rechte an seinem Wasser verloren. Denn nicht nur zur Energiegewinnung wurde der Edersee geflutet, sondern die Wassermassen sollten auch der Regulierung des Wasserstandes der Weser dienen, damit diese im Sommer befahrbar blieb. Über das Kreditwesen und möglicherweise „gekaufte“ Stimmen im Reichstag, wollen wir hier schweigen. Es war ein herausragendes Großprojekt deutscher Ingenieurskunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das Kaiser Wilhelm II. selbst einweihen wollte. Dazu kam es dann nicht mehr, der Erste Weltkrieg überrollte die Ereignisse.

Viadukt auf dem Ederseebahn-Radweg. Foto: waldecker-land-zukunft-heimat.de
Das alles ist nun Geschichte. Bisweilen vergessen! Oder doch nicht? Ist es doch bis heute immer das gleiche Spiel mit der Entwicklungshilfe. Damals war es eine Entwicklungshilfe für Waldeck zum Vorteil für Preußen. Preußen konnte seinen Einfluss gegenüber Bayern oder Sachsen stärken. Waldeck war zwar weiterhin selbstständig auf dem Papier, aber wirtschaftlich abhängig von Preußen. Erleben wir das nicht dieser Tage auch, wenn etwa China europäische Häfen ausbaut? Die Bahntrasse zwischen dem Ruhrgebiet und dem Edersee entwickelte sich schnell zum Motor des beginnenden Tourismus im Waldecker Land. Legendär war die D-Zug-Verbindung Bad Wildungen-Amsterdam. Kurgäste erreichten bequem die Kliniken der Badestadt, Urlauber entdeckten den Edersee, Sonderzüge nach Willingen wurden für Skibegeisterte eingesetzt. An die Hamsterzüge nach dem Zweiten Weltkrieg sei ebenso erinnert. Aber auch für die Einheimischen kam mit der Bahn Erleichterung. Einkaufen, Amts- und Arzttermine, der Weg auf die weiterführende Schule und an die Arbeit – alles wurde einfacher. Lagen die Bahnhöfe nicht unmittelbar im Ort, so fand man sie strategisch zwischen kleineren Orten versetzt.
Ederseebahn mit dem Rad erkunden © waldecker-land-zukunft-heimat.de
Jeder hat so seine eigenen privaten Erinnerungen an diese Zeit. Man verabschiedete die Tante am Bahnhof und kann ihr winkendes Taschentuch aus dem Fenster lange nachschauen. Da ist die Mutprobe unter Geschwistern, wer traut sich von einem Waggon zum nächsten zu gehen über die wackeligen Verbindungsplatten. Wann war man endlich auch so groß, dass man auf den niedrigen Heizungen stehend selbstständig das Fenster runterschieben konnte, um dann den Kopf aus dem Zug zu halten. Wie grandios war es, über die Viadukte zu fahren. Langsam ging es, es blieb genug Zeit, das Panorama zu genießen. Später gab es die Schienenbusse mit den umklappbaren Rückenlehnen. Zweier- oder Dreierreihe. Der Fahrer hatte oft genug nicht die Gardine zugezogen, so konnte man ihm schön bei der Arbeit zuschauen mit dem Blick auf die Gleise und Signalanlagen. Als Kind fühlte man sich als König, wenn man auf dem Klappsitz ganz vorn am Ausgang beim Triebwagenführer sitzen durfte.

Ederseebahn-Radweg im Überbrlick. Foto: privaat
All diese Erinnerungen kommen einem wieder, wenn man sich bei Buhlen auf den Ederseebahn-Fahrradweg begibt. Bis Korbach zwei Prozent stetige Steigung. Mal radelt man in einem Tunnel aus Böschung und Bäumen, mal ist man oben auf dem Bahndamm. Es ist schön, es ist nostalgisch. Es ist aber auch traurig. Aus einem Wunderwerk der Technik ist ein Fahrradweg geworden. Ist das Fortschritt? Die Bahnhöfe liegen dann doch manchmal zu weit außerhalb des Dorfes. Was ist mit all den Orten, die überhaupt nicht an der Trasse liegen? Irgendwann setzten alle auf das Auto. Bequem, schnell, immer verfügbar. Und jetzt? Ältere E-Bike-Radler schwelgen in Erinnerungen. Sie haben alles gehabt, den Zug in der Jugend, das Auto als Erwachsener und nun als Senioren zur „Bespaßung“ den Radweg. Macher Jugendliche, der diesen Erinnerungen zuhört, fragt sich, wie cool es doch wäre, ohne Umsteigen von Bad Wildungen nach Amsterdam zu fahren. SEVEN
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EIN LESER DAZU:
Ein wunderschöner Artikel! Ich hatte irres Kopfkino.
Mein Vater war Bundesbahn Beamter und war in meiner Kinderzeit auch gelegentlich Signalwärter am Hilfsbahnhof Wega-Mühle in den Mitte-50ern. Meine Mutter und wir Kinder haben meinen Vater gelegentlich an Sonntagen auf seinem Dienstposten besucht, und ihm in der Einöde Gesellschaft geleistet und eine warme Mahlzeit vorbeigebracht.
Ich durfte dann – wenn es angesagt war – mit ihm durch den Tunnel Richtung Bergheim-Giflitz laufen, um am Tunnelende das Signallicht am Signalmasten zu hissen, um dem Zug Durchfahrt zu gewähren. Dann wieder zurück durch den Tunnel und im Wärterhäuschen den schweren Signalschalter auf Gewährung der Durchfahrt umzulegen. Spannend!
Wir hatten Verwandtschaft in Korbach und Willingen und haben diese Strecke unzählige Male für Besuche genutzt – kostenlos, auf Freifahrtschein – wir waren ja „Bahner“.
In den Kurzschuljahren 1966 bis 1968 habe ich mein Abitur in Korbach an der ALS gemacht. Das Bad Wildunger Gymnasium lehrte zu der Zeit NUR Englisch und Latein und ich hatte in der Realschule Englisch und Französisch gelernt.
Also, jeden Morgen um 06:00 h zu Fuß von BW Stadtmitte zum Bahnhof. Um 06:40 h fuhr der Zug ab Richtung Korbach. An jeder „Milchkanne“ stiegen Schüler und Berufstätige zu – Ziel: Korbach. Wir waren wie eine Familie. Um 14:00 h dann wieder nach Hause, Ankunft ca. 15:30 h, zu Fuß nach Hause (nix Helikoptereltern), essen, Schularbeiten – ein langer Tag, wenig Freizeit!
Aufgrund der für mich finanziell äußerst günstigen Fahrmöglichkeit bin ich als Schüler mehrfach in London gewesen – eine sehr bequeme Reise. Der durchgehende Zug Bad Wildungen-Amsterdam hielt auch in Utrecht (Niederlande) – 1 x umsteigen, weiter nach Hook van Holland. Dann auf die Harwich Ferry, 6 Stunden Überfahrt, dort in die British Railways und direkt ins Herz von London – eine schöne Zeit!
EIN LESER DAZU:
Nicht schlecht! Bitte Bildunterschrift Teaserbild korrigieren: Einen Bahnhof „Giflitz“ gab es nicht. Nur einen „Bergheim-Giflitz“!
EIN LESER DAZU:
Mein Vater war auch Beamter der Bundesbahn und ich habe die Freifahrscheine und Möglichkeit der verbilligten Fahrten, damals hieß das „Pfennig pro km“, reichlich genutzt.
Auf der Strecke nach Nienburg, so langsam über die Dörfer, immer vorne beim Führer des Schienenbusses.
Das habe ich vor einiger Zeit nochmal mit meinen Enkelkindern gemacht.
Schienenbus fahren von Bad Eilsen nach Obernkirchen, auf der Strecke Rinteln – Stadthagen, einfach toll.
Es gib eine Initiative, die Strecke Rinteln-Stadthagen wieder für den PNV fertig zu machen und zu nutzen.
Ich bin mal gespannt, ob sie das hinkriegen.
Die haben außer dem Schienenbus auch noch eine alte große Dampflok, die zu besonderen Gelegenheit durchs Schaumburger Land und Ostwestfalen fährt.
Begeistert bin ich such von der Harzer Querbahn HSB, die ja auch auf den Brocken fährt.
Bei mir im Hobbyraum unseres Dachgeschosses fährt eine kleine Ausgabe von LGB, neben der HO-Anlage von Märklin.
EIN LESER DAZU:
Hier noch einmal die alte Bahnstrecke: BW – Wega-Mühle – Bergheim-Giflitz – Buhlen – Waldeck – Netze – Selbach – Sachsenhausen – Meineringhausen – Korbach-Süd – Korbach HbF